Dieses Blog wird gemacht von vielen, oder, besser ausgedrückt, von einer Vielen. Von einigen in einer Vielen – daher auch der Name „some_of_many“. Und wir sind auch nur eine_r von Vielen in dem Sinne, dass wir ein einziges multiples System sind, und aus unserer Perspektive im Leben schreiben. Wir beschreiben das Leben so, wie wir – oder wie einige von uns – es sehen.
Die Kurzfassung für alle Eiligen: „Wir“, das ist das für uns passende Pronomen für eine Person mit einer sogenannten „Dissoziativen Identitätsstörung“. Das bedeutet im Wesentlichen, dass wir in unserer Kindheit so früh und so lang anhaltend und so schwerer Gewalt ausgesetzt waren, dass unser sich entwickelndes Gehirn das Erlebte aufspaltete und auf verschiedene Selbstkerne, oder Persönlichkeitskerne verteilte – dissoziierte -, anstatt das Erlebte immer mehr zu integrieren zu einem mehr oder weniger einheitlichen Selbst-Gefühl oder Ich-Erleben, so, wie das üblicherweise in einer weniger gewaltvollen Kindheitsentwicklung passiert. Wir, das ist eine fast 40 Jahre alte Person, die in einer offenen, aber sehr committeten Beziehung lebt, die drei leibliche Kinder beim Aufwachsen begleitet und das gemeinsam mit dem biologischen Vater und einem weiteren Paar in einer Co-Eltern-Familie tut, die ein Diplom in Psychologie hat und freiberuflich körperorientiert und traumasensibel mit Menschen arbeitet.
Wir schreiben, weil jedes multiple System für sich einzigartig funktioniert, und weil wir hoffen, dass unsere Perspektive von Viele-Sein und Muttersein/Elternsein und professionell mit Menschen arbeiten, und auch unsere Perspektive von Ausgestiegen_Sein aus den Gewaltzusammenhängen (wobei das ein andauernder Prozess und kein statischer Zustand ist), hilfreich und interessant für andere Viele, für Unterstützer*innen und für alle möglichen anderen Menschen auch sein könnte.
Ja, und ausführlicher:
Wir sind ein Mensch, eine Person, die mit einer dissoziativen Identitätsstruktur durch’s Leben geht. In manchen Kontexten wird das als Krankheit, als psychische Störung gesehen, und offiziell heißt es dann „Dissoziative Identitätsstörung.“ Oder auch im noch aktuellen ICD 10 „Multiple Persönlichkeitsstörung“. Diesen offiziellen Stempel haben wir auch. Und hmm, ja, es „stört“ auch durchaus, sich den einen Körper mit vielen anderen inneren Persönlichkeiten/Anteilen/Selbsten teilen zu müssen. So viele sehr verschiedene Bedürfnisse, Ansichten, Weltsichten, Reaktionsmuster halbwegs in die Waage zu bringen. Früher war es auch anstrengend, ein scheinbar vollkommen unberechenbares, lückenhaftes, immer wieder in den Händen zersplitterndes und dauernd unerklärlich bedrohliches Leben zu (über-)leben. Seit vielen Jahren sind wir – zumindest im Alltag – jedoch weitgehend co-bewusst, das heißt, auch, wenn sich „an der Front“ die Innenleute die Klinke in die Hand geben, gibt es eine Art inneren Dauer-Realitäts-Stream, in den sich die Innenpersonen, die größtenteils den Alltag händeln, einloggen können.
Ja, es stört, es führt zu verschiedenen Schwierigkeiten im Leben, die Einzel-Menschen nicht haben. Aber wir verstehen immer mehr, dass unser Viele-Sein eine total geniale Überlebenslösung war. Ein voll abgefahrener psychisch-neurologischer menschlicher Mechanismus, der es uns ermöglicht hat, nicht nur überhaupt bis hierher zu kommen, sondern auch jetzt noch mit dem Ausmaß an Gewalt, das uns widerfahren ist, und mit den vielfältigen Arten, auf die diese Gewalt sich in uns und unseren Körper eingeschrieben hat, ein ziemlich gutes Leben führen zu können. Und je mehr wir uns im Inneren als Gemeinschaft, als Team erfahren, desto weniger finden wir uns „gestört“. Das, was mit uns in unserer Kindheit gemacht wurde, war ver-störend. Manche von uns finden auch, dass die, die an uns zu Täter*innen wurden, „gestört“ sind. Wir empfinden uns jedoch nicht als gestört, also benutzen wir für uns den Begriff Dissoziative Identitätsstruktur. Den haben jedoch nicht wir erfunden, sondern von anderen Viele-Menschen dankbar aufgegriffen.
Wir wollen schon nach und nach selbst etwas dazu schreiben, was nach unserem Verständnis eine Dissoziative Identitätsstruktur ist, wie nach offiziellem Verständnis eine Dissoziative Identitätsstörung aussieht, und wie sie entsteht. Weil es uns betrifft, wollen und werden wir auch etwas zu ritueller Gewalt schreiben. Aber für’s Erste, und für unsere Freiheit, erstmal das zu schreiben, was wir spannender finden, lassen wir uns damit noch Zeit.
Jo, und vielleicht reicht das auch erstmal, um zu verstehen, wer hier wie und warum schreibt!